Das elektronische Patientendossier hat die Dimension der NEAT

FDP-Nationalrat Ignazio Cassis tritt Ende 2015 nach acht Jahren aus dem fmc-Vorstand zurück. Eine Rückschau auf bewegte gesundheitspolitische Zeiten und ein Ausblick auf die begonnene Legislatur. Verbunden mit grossem Dank für das Engagement. 

Ignazio Cassis, was war – aus Sicht der Integrierten Versorgung – der positivste politische Entscheid in der abgelaufenen Legislatur?

Die Annahme der Managed Care-Vorlage am 30. September 2011 mit 28:6 Stimmen im Ständerat und mit 133:46 Stimmen im Nationalrat. FDP-Fraktionspräsidentin Gabi Huber sagte in ihrem Schlussvotum: «Nach sieben Jahren haben wir uns endlich auf eine wichtige Reform im ambulanten Bereich des Gesundheitswesens geeinigt. Wir haben uns sogar auf eine Reform geeinigt, welche die Patientinnen und Patienten und die Versicherten in den Mittelpunkt stellt.» Ebenso wurde der Pakt zwischen der FMH und dem Parlament erfüllt: keine Aufhebung des Vertragszwang, dafür die Förderung einer zeitgemässen Versorgungsform.

Nur haben drei von vier Stimmbürgern die Vorlage dann abgelehnt. Eine Enttäuschung? 

Klar war das eine Enttäuschung – schliesslich hatten wir sieben Jahre dafür gekämpft. Doch noch grösser war die Enttäuschung über den «Seitensprung» der FMH, die einen inneren Putsch durch die Spezialisten erlitten hatte. 

Mit welchen Konsequenzen?

Je mehr ich an diese Zeit zurückdenke – ich war damals Vizepräsident der FMH –, desto mehr realisiere ich, dass dieser Fehler für das Schweizer Gesundheitswesen gravierende Folgen gehabt hat und haben wird. Zuerst erhielt die SP mit ihrer Initiative für die Einheitskasse viel Aufwind. Dann wurde das Ziel zwar verfehlt, doch die Linke nutzte diese Initiative als Druckmittel: Ohne sie hätten wir heute kaum ein Krankenversicherungsaufsichtsgesetz, das in erster Linie – wenn man etwas zynisch sein will – mehr Arbeitsplätze in der Verwaltung und damit höhere Staatskosten produziert.

Da spricht jetzt neben dem Liberalen Ignazio Cassis auch der Curafutura-Präsident Ignazio Cassis. Der Verband vereinigt die «innovativen Versicherer», wie sie sich selbst bezeichnen. Wie profitiert die Integrierte Versorgung davon?

Unsere vier Mitglieder CSS, Helsana, KPT und Sanitas versichern rund 45% der Schweizer Bevölkerung. Sie sind aus Santésuisse ausgetreten, weil sie keine Blockaden mehr duldeten. Gemeinsam wollen sie dem Begriff «Vertragspartner» wieder eine zentrale Bedeutung geben. Gemeinsam wollen sie neue Versorgungsformen fördern, neue Vergütungsmodelle entwickeln und die Integration des stark fragmentierten Versorgungssystems unterstützen. Das ist bei Curafutura Innovation! 

Eine ganz konkrete und absehbare Innovation ist das elektronische Patientendossier. Es hat beträchtliches Potenzial, um die Integration der Versorgung zu beschleunigen. Teilst Du diese Einschätzung?

Ich gehe sogar weiter: Ohne eHealth keine Integration! Allerding darf die Umsetzung nicht unterschätzt werden: Das ist eine tief greifende Reform des Gesundheitswesens, welche die gleiche Dimension hat wie die NEAT für den Bahn- und Güterverkehr. Und dass grosse Informatik-Projekte oft scheitern, wissen wir nur allzu gut. Entscheidend ist deshalb, dass die Leistungserbringer einen raschen und substanziellen Nutzen haben.  

Schliesslich ein gesundheitspolitischer Blick auf die soeben gestartete Legislatur: Du bist als FDP-Fraktionschef und Mitglied der nationalrätlichen Gesundheitskommission an sehr wichtigen Schalthebeln. Bei welchen Themen möchtest Du etwas bewegen?

Die neue Legislatur ist die 50. seit 1848 und hat hohen Symbolcharakter. Die Resultate der Wahlen sind bekannt: Während die kleine Kammer stabil bleibt, hat der Nationalrat – für schweizerische Verhältnisse – spektakuläre Verschiebungen erfahren. Das erschwert die Konsensfindungen markant. Es wird wesentlich an der FDP liegen, die Linien zu definieren: Sie kann als Schlüsselpartei in der einen und der andern Kammer, je mit SVP und CVP, klare Mehrheiten bilden. Ich freue mich auf diese Herausforderung.

Die Gesundheitspolitik wird nicht im Zentrum der Legislatur stehen, sondern Sozialpolitik (Altersvorsorge, Sozialquote), Energiepolitik (Energiewende), Wirtschaftspolitik (Deindustrialisierung, Frankenstärke, Überregulierung) und Wirtschaftsaussenpolitik, insbesondere die Beziehung Schweiz-EU. Hinzu kommt die Sicherheits- und Migrationspolitik.

Dringlichste Themen in der Gesundheitspolitik sind die einheitliche Finanzierung ambulant-stationär (Monismus oder dual-fixe Lösungen), um die Wettbewerbsverzerrung abzuschaffen und endlich die vertikale Integration der Versorgung zu fördern; ausserdem die Lockerung des Vertragszwangs, um flexiblere Preise zu ermöglichen und die Überversorgung zu reduzieren; schliesslich mehr Altersklassen bei den Prämien, um vor allem junge Familien und Alleinerziehende zu entlasten.

Interview: Urs Zanoni

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