Integrierte Versorgung: Bund / Kantone / Gemeinden
als Spielmacher oder Schiedsrichter?

fmc Symposium Rückblick 2018

«Gefragt sind Besserkönner, nicht Besserwisser»

Matthias Scholer, Wissenschaftsjournalist

Dr. David Bosshart, Trendforscher und CEO des Gottlieb Duttweiler-Instituts, eröffnete das fmc-Symposium 2018 mit erhellenden Einsichten in die Zukunft des Gesundheitswesens. Eine Gedankenreise in acht Merkpunkten.

Zusammenfassung

In Lösungen denken

Die Problemstellungen im Gesundheitswesen werden immer komplexer. Dafür müssen aktiv und ambitioniert Lösungen erarbeitet werden, die eine solide Mehrheit unterstützt. Werden die anstehenden Probleme hingegen nur verwaltet, steigt die Gefahr populistischer Scheinlösungen, die zu mehr Bürokratie führen. Gefragt sind also «Besserkönner, nicht Besserwisser». 

Intelligenzquotient + Künstliche Intelligenz + Emotionale Intelligenz

Um komplexe Fragestellungen effizient und lösungsorientiert angehen zu können, braucht es nicht nur menschliche Analysekraft und künstliche Intelligenz. Ohne den Einsatz emotionaler Intelligenz können wir unsere Ideen nicht transportieren und der Bevölkerung vermitteln. Eine aktive Kommunikation ist die Grundvoraussetzung, damit sich Menschen mit einem bestimmten Thema beschäftigen: Wir müssen die «gleichgültige Mitte» mobilisieren. 

Komplexität klug vereinfachen

Wir brauchen keinen verwaltenden, sondern einen starken, durchsetzungsfähigen Staat. Den Kantonen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu – sei es als Bindeglied zwischen Bund und Gemeinden, sei es zwischen den Kantonen selbst. Dabei spielen Führungsqualitäten eine entscheidende Rolle und es braucht, vor allem bei Investitionen, «kluge Vereinfachungen».

Weg von Ideologien

Die westliche Welt ist von einem binären Denken geprägt: Staat = schlecht, Wettbewerb = gut – oder umgekehrt. Davon gilt es sich zu lösen, denn auch beim Staat gibt es Innovation und Leistungsbereitschaft. Die zentrale Frage heisst nicht: «Privater Markt oder staatliche Regulation?», sondern: «Wie kooperieren wir?». Dabei sollten immer aktuelle Trends und Fragen von Seiten der Bevölkerung einbezogen werden. Mit dem übergeordneten Ziel, einen guten Mix von Staat und Markt zu erreichen, der eine kontinuierliche Verbesserung der Patientenbetreuung ermöglicht.

Popup-Mentalität

Die Zeiten der Vereinskultur sind vorbei. Heute wollen engagierte Freiwillige etwas bewegen, wollen zielorientiert und adhoc arbeiten und popup-mässig eingesetzt werden. Dieser Kulturwandel ist für das Gesundheitswesen neu. Um mit innovativen Ideen und Projekten Erfolg zu haben, müssen sich alle Player überlegen, wie man die Freiwilligen sinnvoll und zielorientiert einsetzen kann.

On demand

Niemand ist bereit, in Zukunft weniger Umsatz zu machen. Folglich werden wir auch in Zukunft viel Unsinn finanzieren. Ausser wir verzichten darauf, auf fünf, zehn oder noch mehr Jahre zu planen. Die Welt ist in einer radikalen Transformation. «On demand» lautet der zentrale Anspruch. Das heisst zum Beispiel auch, Spitalbetten dann zur Verfügung zu haben, wenn man sie braucht. Und in der Art, in der man sie braucht. 

Eine Bewegung werden

Die Zukunft gehört Attributen wie Führungsqualität, langer Atem und Kundenorientierung. Wir leben in einer Welt, in der starre Grenzen und Parteien von Bewegungen abgelöst werden. Diese Bewegungen werden von Persönlichkeiten getrieben, die Probleme jenseits von Berufs- und Parteigrenzen angehen. Folglich sollte auch die Integrierte Versorgung versuchen, eine Bewegung zu werden, die Lösungen effizient entwickelt und umsetzt.

Daten als Goldmine

Dank technologischer Fortschritte gewinnen wir immer mehr und immer solideren Daten. Richtig eingesetzt, führen sie zu objektiveren Erkenntnissen und erlauben bessere Entscheidungen, sei es in der Prävention, Prädiktion, Diagnose oder Therapie. Daten haben somit ein bedeutendes Steuerungs- und Lösungspotential.


Mehr oder weniger Staat? Die Ergebnisse

Oliver Kessler, Co-Leiter Kompetenzzentrum Public & Nonprofit Management, Hochschule Luzern Wirtschaft

Die Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass die Bedeutung von Bund, Kantonen und Gemeinden in der Integrierten Versorgung zunehmen wird – die wichtigsten Resultate des fmc-Forschungsmandats.


Mehr oder weniger Staat? Die Reaktionen

Wie sehen Bund, Kantone und Gemeinden ihre künftigen Rollen? Führende Vertreter der drei Ebenen reflektieren die präsentierten Forschungsergebnisse.

Bund

Pascal Strupler, Direktor Bundesamt für Gesundheit

Beiträge des Bundes zur koordinierten Versorgung.

 

Kanton

Martin Pfister, Gesundheitsdirektor Kanton Zug und Vorstandsmitglied GDK

Rolle der Kantone in den Handlungsfeldern der Integrierten Versorgung

Gemeinde

Jörg Kündig, Gemeindepräsident Gossau/ZH, Vorstandsmitglied Schweizerischer Gemeindeverband

Bedeutung der öffentlichen Hand in der integrierten Versorgung


Mehr oder weniger Staat? Die Debatte

Interview mit PD Dr. med. Peter Berchtold, Präsident fmc


Mehr oder weniger Staat? Die Szenarien

Auf Basis der Forschungsresultate hat das fmc vier Szenarien für mögliche künftige Rollen von Bund, Kantonen und Gemeinden zur Diskussion gestellt.

Die Schlussfassungen erscheinen Ende Jahr im fmc-Denkstoff Nr. 4.


Mehr oder weniger Staat? Gemeinsam in allen Bereichen!

Prof. Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care

Gewohnt souverän rundete Volker Amelung das fmc-Symposium 2018 ab. Der gemeinsame Nenner seiner Schlussbetrachtungen: Wer über den Tellerrand hinausschaut, entdeckt überraschende Lösungsansätze.

Schlussbetrachtung

1. Medical Care und Social Care zusammenbringen 

Die wichtigste Patientengruppe der Zukunft sind (hoch)betagte, chronisch und mehrfach kranke Menschen. Diese benötigen neben medizinisch-pflegerischen Leistungen meist auch psychosoziale, juristische (z.B. Urteilsfähigkeit) und finanzielle Unterstützung (z.B. Ergänzungsleistungen). Wer ein moderndes Verständnis des Gesundheitssystems hat, fragt demnach: Wie schafft man es, Gesundheitsversorgung und Soziales zusammenzubringen? Und welche Rolle spielt dabei der Staat? Dazu gehört zum Beispiel, dass man die Krankheitsversorgung und die Altersvorsorge integriert und Vergütungssysteme entwickelt, die AHV und IV einschliessen und eine gemeinsame Logik haben. 

2. Patienten konsequent einbeziehen

Es besteht weitherum Einigkeit, dass man Patientinnen und Patienten stärker in den Behandlungsprozess einbeziehen soll – sie wollen das ebenfalls. Eine ideale Gelegenheit bietet das elektronische Patientendossier, das 2020 betriebsbereit sein wird. Nur gibt es da diese Freiwilligkeit, das heisst, die Versicherten und Patienten können selbst entscheiden, ob sie ein solches Dossier eröffnen wollen. Das nicht reicht! Es kann nicht sein, dass Investitionen in Millionenhöhe getätigt werden für etwas, das einige Patienten wollen, einige vielleicht, einige vielleicht später und einige auf keinen Fall. Wenn das elektronische Patientendossier die berechtigten Erwartungen erfüllen soll, muss man es durchsetzen, entweder durch eine Anpassung des Gesetzes oder mit Anreizen. Ob diese dann mit Steuergeld oder Prämiengeld finanziert werden, ist zweitrangig. Hier sind die Interessen des Staates an einem effizienten und sicheren Versorgungssystem höher zu gewichten als Vorbehalte der Patienten beim Datenschutz (wobei es auch Aufgabe des Staates sein kann, diese Vorbehalte glaubhaft zu entkräften). 

3. Regional unterschiedliche Vergütungssysteme

Wir nutzen Vergütungssysteme viel zu wenig als Differenzierungsinstrument. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Leistungen in unterschiedliche Regionen unterschiedlich vergütet – je nach Attraktivität der Region. Oder dass man Leistungspakete schnürt, die aus unterschiedlich attraktiven Komponenten bestehen und sich folglich auch im Preis differenzieren. Konkret: Wer einen Leistungsauftrag für die Stadt Bern will, muss auch Angebote für ländliche Regionen machen. 

4. Interprofessionalität verlangt interprofessionelle Ausbildung

Wer Einzelkämpfer ausbildet, namentlich in der Medizin, braucht sich nicht zu wundern, wenn sie im Beruf Einzelkämpfer bleiben. Die Frage lautet also: Wie bringen wir es hin, dass Ärzte, Apotheker, Pflegekräfte, Gesundheitsökonomen – wer auch immer – gemeinsam auf einen Gesundheitskonsens hin ausgebildet werden? Nur wenn man diese gemeinsame Identität in der Ausbildung schafft, wird man auch wirkliche Zusammenarbeit schaffen. Das dauert zwar, aber man hätte schon vor 25 Jahren damit beginnen können. Anderseits stehen unsere Gesundheitssysteme nicht unter existentiellem Druck. Deshalb ist es selbst heute nicht zu spät, diesen Strukturwandel anzugehen – der dann ohnehin ein bisschen dauert. 

Schliesslich die Kardinalfrage: Mehr oder weniger Staat? Die Antwort: Es geht nie um das eine oder andere. Es geht immer darum, wie viel vom einen und vom anderen. Der Staat hat den grossen Vorteil, dass er flächendeckend und verpflichtend ist. Das Unternehmertum ist (meistens) bei Schnelligkeit und Flexibilität voraus. Leistungsbereitschaft und Innovationskraft gibt es an beiden Orten.

Deshalb: Bringen wir das Beste aus beiden Bereichen zusammen und vergessen wir die Ideologien! 


Mehr oder weniger Staat? Ausgewählte Meinungen

Matthias Scholer, Wissenschaftsjournalist

Wir haben während des Symposiums Teilnehmende gefragt:

  • «In welchen Bereichen der Integrierten Versorgung ist es sinnvoll oder sogar ratsam, dass der Staat eine aktive Rolle wahrnimmt?»
  • «Von welchen Bereichen sollte er die Finger lassen?»
  • «Welche anderen Versorgungspartner – Leistungserbringer, Versicherer, Patienten – sollten aktiv(er) werden, damit der grössere Einfluss des Staates gar nicht nötig ist?»

Schauen Sie sich die Antworten an.


Parallel-Sessionen

Regional, integriert, patientenorientiert: Wie Gemeinden Versorgungsmodelle der Zukunft mitgestalten können. In Zusammenarbeit mit dem Schweizerischen Gemeindeverband.
3 Projekte werden vorgestellt.

3 Projekte

PRISM (Genève) : Soins intégrés pour les personnes ayant des besoins complexes,
Séverine Schusselé Filliettaz, coordinatrice des projets, Association PRISM

Thurvita (Wil/SG): Ein integriertes Betreuungsmodell für betagte Menschen,
Andreas Bucher, Mitglied der Geschäftsleitung Thurvita, Wil/SG

Gesundes Freiamt: Ein regionales, bevölkerungsorientiertes Versorgungsmodell,
Thomas Wernli, Direktor pflegimuri, Muri (Aargau)

Präsentation

Die Umwandlung von Krankenhäusern in integrierte, ambulante Versorgungsunternehmen – Praxisbeispiele aus Deutschland

Referate von:

Dr. Hans-Joachim Helming, Geschäftsführer, IGiB – StimMT GmbH
Carola Herter, Senior Projektmanagerin Gesundheit, Robert Bosch Stiftung
Dominik Walter, Leiter Fachbereich Medizinisches Prozessmanagement, RHÖN-KLINIKUM AG

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